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Kreuzberger Treibsand,
Grenzenlos, verloren: Stephan Geenes Film „Umsonst“ erzählt vom Lebensgefühl
der Drifter um die 20. Ein Treffen gegen die Uhr.
Von Nana Heymann
Frei sein, Baby
Felix Stephan vergleicht "Freiland" und "Umsonst"
Filme über das Berliner Kulturprekariat
Das Nichts der Freiheit
Die Filme „Umsonst“ und „Ich will mich nicht künstlich aufregen“ beleuchten Lebensentwürfe der Berliner Kreativszene. von Diedrich Diedrichsen
Als wollten sie als zwei Hälften sich zu einem Gesamtbild des Berliner Standes der Dinge addieren, traten diese beiden Filme im Laufe der letzten Berlinale in Erscheinung und wurden dort zu viel und heiß diskutiertem Material: Stephan Geenes „Umsonst“ und „Ich will mich nicht künstlich aufregen“ von Max Linz.
Gerne erklärte man den nicht Deutsch sprechenden Festivalbesuchern die zwei Bedeutungen des Wortes „umsonst“: for free und in vain, „kostenlos“ und „vergeblich“. Dass das eine mit dem anderen zu tun hat, ist einerseits schlechte kapitalistische Wirklichkeit: Was jenseits des Tauschens passiert, ist für die Katz und hat keinen Wert. Andererseits kommt man über den Mut zum Nichtteleologischen, dem absichtslosen, „vergeblichen“ Handeln, dem urbanen Driften, wie es in diesem Film praktiziert wird, dem utopischen Gegenteil der vom Tauschwert dominierten Warengesellschaft womöglich doch ein bisschen näher.
Aber auch „Ich will mich nicht künstlich aufregen“ lieferte schon vom Titel her reichlich Gesprächsstoff. Ist diese „künstliche Aufregung“, mit der in diesem Film Theorie von Luhmann, Brecht und Kracauer zitiert, Mietpreise verlesen, Kulturprojekte angepriesen und zurückgewiesen werden, die geheime Regieanweisung, die all die hier vorgeführten uneigentlichen Redeweisen und siebenfach gerahmten und dreizehnfach abgeschrägten Dialoge in Gang gebracht hat?
Und der englische Titel („Asta upset“) legt noch ein Interpretationslockangebot obendrauf. Die Hauptfigur Asta heißt wie eine Stummfilmdiva und ein Allgemeiner Studierendenausschuss – wenn das nicht genau die Synthese ist, aus der die hier Handelnden und Porträtierten gebacken sind: Diva und Drittmittelantrag.
Nichts zu verlieren
In „Umsonst“ wird mit der Vorstellung von Darstellbarkeit der äußeren Wirklichkeit im Spielfilm zunächst nicht gebrochen – nur an einer entscheidenden Stelle, die man schwer diskutieren kann, ohne eine Pointe zu versauen.
Aziza (Ceci Chuh), eine junge Frau zwischen allen Lebensentscheidungen, ihre eigentlich sehr entspannte, aber dennoch im Dauerstreit mit der Tochter befindliche alleinerziehende Kreativmilieu-Mutter (Vivian Daniel), ein Drifter namens Zach (Elliot McKee) und LebenskünstlerInnen aus allen Teilen der Welt ziehen durch ein Kreuzberg des offenen, vorläufigen, unbestimmten Lebens und improvisieren über die Freiheit zwischen dem guten alten „Nothing left to loose“ von Kris Kristofferson und Janis Joplin und dem langsamen Aufbau von realen Möglichkeiten über Praktika beim abwesenden Vater in Portugal.
Dass auch die Freiheit in der Ökonomie des Nichts-zu-verlieren-Habens nur einen Kompromiss darstellt oder nur als Vorläufigkeit zu haben ist, wird in dem an genau beobachteten Alltagsszenen, Minikonflikten, glücklichen Zufällen und allgemeiner Lässigkeit reichen Naturalismus nie explizit ausgesprochen; es ist aber die am Ende auch absolute und ontologische Grenze von Azizas In-der-Nacht-im-Kreis-Herumlaufen, dessen zutiefst sympathisierende Zeugen wir werden.
Driften und Behütetsein
Statt zu spoilen, also ein Versuch, die letzte Szene zu lesen: Um das Driften, die Unsicherheit, das prekäre Leben als Freiheit genießen zu können, muss man behütet aufgewachsen sein und über eine innere Sicherheit verfügen. Deswegen erkennt man in vielen Spielfilmen hinter den abenteuerlichsten Streuner- und Grenzgängerinnen-Darstellungen stets die Züge bürgerlicher Behütetheit, unter der die SchauspielerInnen dieser Transgressionen aufgewachsen sind.
Wenn dann aber tatsächlich einmal das gefährliche Neuland jenseits der Reichweite der Behüter aufgesucht werden soll, greifen auch in liberalen Kreisen die Erziehungsmaßnahmen in vollem Umfang – das Kind ist dann nicht mehr frei, sich selbst zu entdecken, sondern auch eine Person, in die investiert wurde.
Das Kompliment, das „Umsonst“ am häufigsten gemacht wurde, war das der Leichtigkeit – nicht zu Unrecht. Das sommerliche Kreuzberg mit seinem international-lockeren Lebenskunst-Prekariat schlendert hier auf den ersten Blick wirklich ziemlich zwanglos von Marktstand zu Festivälchen, von vorübergehender Übernachtungsmöglichkeit zu verletzlichen Folk-Darbietungen in den zahllosen Parks und schließlich zu nächtlichen Eröffnungen von Projekträumen, von denen die heitere, aber bestimmte Bevölkerung verlangt, das Vernissagen-Bier doch bitte der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen – gewissermaßen als präventive Steuer auf die zu erwartenden Gentrifizierungsschäden, die die projektförmige Umtriebigkeit schon irgendwie verursachen wird.
Eine durchaus zu vertretende Position, die sich etwa mit dem deckt, was Boris Groys vor ein paar Jahren in der Berlin-Nummer von Lettre dem Berliner Bohemismus empfahl, um seinen Lebensstil zu verteidigen: unbedingte Unproduktivität. Andernfalls droht der Untergang. Auch „Umsonst“ teilt mit den Nouvelle-Vague-Filmen, an die man sich erinnert fühlt („Cleo von 5 bis 7“ zum Beispiel), nicht nur den Charme, sondern auch die Nähe zur (persönlichen) Katastrophe, mit der die traumwandelnde Sicherheit erkauft ist, die Voraussetzung von Leichtigkeit ist. Nicht nur Aziza spaziert an Abgründen entlang, auch das sie hervorbringende Kreuzberg und Kreuzkölln. (...) GESAMTER ARTIKEL
Das Wasser fließt träge
Kino „Umsonst“ von Stephan Geene ist ein politischer wie soziologischer Berlin- Film. Und gleichzeitig ganz und gar empfindsam. Von Elena Meilicke
Es ist seltsam, diesen Film zu sehen, wenn man in Berlin-Kreuzberg wohnt und gerade eben noch durch den Görlitzer Park getrottet ist. Wenn man dann Umsonst sieht, verdoppelt sich die Welt draußen mit der auf der Leinwand, Kunst und Leben, Film und Wirklichkeit geraten eng aneinander. Umsonst ist ortspezifisches Kino, könnte man kunstkontextmäßig sagen – seine Premiere hatte der Film auf der letzten Berlinale in der Experimentalsektion „Forum Expanded“. Kreuzköllner Wirklichkeit also: Adalbertstraße, Kottbusser Tor, Maybachufer, Hermannplatz, abends oder frühmorgens aus einem Auto heraus gefilmt, die Straßen sind leer, so beginnt der Film.
Aufbrechen, abbrechen, ankommen. Wo wohnen, wie leben, was tun. Aziza (Ceci Chuh) ist gerade aus Portugal zurückgekehrt, weg vom Vater, ihr Praktikum hat sie abgebrochen. Zurück in der Kreuzberger Dachgeschosswohnung findet sie ihr Bett belegt; die Mutter (Vivian Daniel) hat es untervermietet an den Neuseeländer Zach (Elliott McKee), der seine Zeit damit verbringt, Straßenmusikern zuzuhören oder in Wertstofftonnen nach brauchbarem Zeugs zu suchen.
Wer also ist jetzt hier und macht was? Es wird Englisch, Türkisch und Deutsch gesprochen, deutsches Englisch und englisches Türkisch und türkisches Deutsch und Deutsch mit österreichischem Einschlag, das alles improvisiert und mit einem großen Gespür für gegenwärtige Sprechweisen.
Umsonst hat damit einerseits die Präzision einer soziologischen Bestandsaufnahme – und ist zugleich ein ganz und gar sinnlicher Film: übers sommerliche Sichtreibenlassen durch die endlose Dämmerung von Juninächten, eingefangen in ruhigen tracking shots. Kein Plan, kein Ziel, eher Stockung und Provisorium, die sich aber ganz okay anfühlen. Der Wind raschelt leise in den Bäumen, das Wasser fließt träge im Kanal, die Schwalben sausen durch den Abendhimmel. Man spricht darüber, dass man sich ein unabgeschlossenes Fahrrad einfach nehmen dürfe, weil es sonst ein anderer täte, und ärgert sich über Galerien: „Ihr könnt hier nicht alle nach Berlin ziehen, die Mieten erhöhen und dann kein Bier verteilen!“ Umsonst skizziert die Psychogeografie eines Stadtteils und zeigt seine Figuren beim situationistischen Driften.
Nachts im Kreis gehen
In girum imus nocte et consumimur igni – wir gehen des Nachts im Kreise und werden vom Feuer verzehrt – lautet der Titel des letzten Films von Guy Debord, ein Titel, der auch Umsonst gut umschreibt: Irgendwann brennen Autos, wer sie angezündet hat, weiß man nicht, aber Aziza blickt lange in die Flammen.
Sich Dinge nehmen, umsonst, kein Geld ausgeben, das man nicht hat, Alternativen zum Produzieren und Konsumieren suchen – in solchen Momenten scheint die politische Agenda und das theoretische Interesse des Films auf, die Webseite zum Film bietet Links zu den Themen „crisis & nonproductivity“, „the use of a stadtteil & off-time“, „new folk-music & retromania“ sowie „learn turkish“. Regisseur Stephan Geene ist nicht nur Künstler und Filmemacher, sondern auch theorieaffiner Mitbegründer des linken Buchladens b_books und hat unter anderem die Philosophen Maurizio Lazzarato und Jacques Rancière übersetzt.
In einem klugen Regiestatement, das den eigenen Film nicht autoritativ ausdeuten will, sondern sich einfach neben ihn stellt, spricht Geene vom Schwinden der Zukunft in Zeiten von Schuldenkrise und Austeritätspolitik und fragt weiter: „Gibt es da etwas, was mit dem Kreuzköllner Zustand von In-der-Sonne-sitzen, die Straße als Bar zu verwenden und mit Gitarre auf der Straße zu singen, gemeint‘ ist – auch wenn ja gerade niemand irgendetwas, meinen‘ oder ‚sagen‘ will? Und doch: Diese Verwendung der Stadt, das Beharren auf geldlosem Umgang, das Bestehen darauf, Zeit zu haben, das ‚demonstriert‘ etwas. Und wenn es nur eine Form wäre, auf das Wort ‚Krise‘ zu reagieren?”
Das Wort „umsonst“, das „sinnlos“ oder „müßig“ bedeuten, aber auch ein Geschenk bezeichnen kann – hier, nimm’s dir, es ist umsonst –, benennt die historische Situation, die Geene unter die Lupe nehmen will. Alles zappenduster, aber vielleicht kann genau darin eine Art Freiheit liegen. Ob diese Hoffnung so stimmt, oder ob die entspannte Umsonsthaltung nicht ein Luxus sein könnte, der sich in Berlin, aber eben nicht Griechenland, Portugal oder Spanien pflegen lässt, bleibt eine offene Frage.
Fast scheint es, als traue der Film der Kreuzköllner Sorglosigkeit selbst nicht über den Weg. Am Ende jedenfalls stehen statt der perfekten Schlusseinstellung (Görlitzer Park bei Nacht, dazu singt die Band Mutter Die Erde wird der schönste Platz im All) eine selbst zugefügte Wunde und ein selbstreflexiver Illusionsbruch. So bleibt Umsonst ein radikal offener Film, der keine klaren Ränder und Grenzen hat, sondern in die Gegenwart und Wirklichkeit ausfranst, und seinen Zuschauern das Gefühl vermittelt, Mitspieler zu sein, in diesem Film, in diesem Leben. Man braucht nur auf die Straße zu gehen.
Ihr könnt doch nicht alle nach Berlin ziehen, hier die Mieten erhöhen und dann kein Bier verteilen.« Stephan Geenes zweiter Spielfilm fällt von der Theorie in die Wirklichkeit
20.06.2014
Andreas Busche
Auf den ersten Blick ist Stephan Geenes Umsonst vor allem ein verdammt toller Berlin-Film. Vielleicht sogar der beste Berlin-Film seit dem Frühwerk von Angela Schanelec, zu der es auch inhaltlich einen Bezug gibt: Gegen Ende, als der Film eine Art Bilanz zieht und seine Hauptfigur Aziza in der Abenddämmerung durch den Görlitzer Park streift, erklingt das Stück »Die Erde wird der schönste Platz im All« der Berliner Band Mutter, das schon in Schanelecs Mein langsames Leben an exponierter Stelle zu hören war. Diese Wahl ist für Geenes Film so programmatisch wie folgerichtig, denn die Band gehört dem erweiterten Kreis von Künstlern, Theoretikern und Aktivisten an, die sich in den 90er Jahren um Geenes Kollektiv B_Books formierten.
Diese Gemengelage spielt auch in Umsonst, der auf solche biografischen Kontinuitäten setzt, die daraus resultierenden Beobachtungen aber mit dem feinen Garn kritischer Theorie verwebt, eine wichtige Rolle. So wird aus seinem in einer sehr spezifischen Lebenswirklichkeit verhafteten Film (Kreuzberg im Jahr 2013) eine umwerfend schön gespielte Bestandsaufnahme über Milieuverschiebungen in deutschen Großstädten, neoliberalen Leistungsdruck (beziehungsweise das Nicht-Funktionieren-Wollen in der Welt) und die Schwierigkeiten der Lebensorganisation in einer Gesellschaft, denen die gesellschaftlichen Verbindlichkeiten abhanden gekommen sind.
Letzteres gilt insbesondere für Azizas alleinerziehende Mutter, die ihre Tochter zu jung bekommen hat und nun auf Kompensation für die »verlorenen« Jahre pocht. Aziza steht eines Morgens wieder vor der Wohnungstür, das Praktikum beim Vater in Portugal hat sie abgebrochen. Einfach so, keine Lust mehr. Ihr Zimmer hat die Mutter zwischenzeitlich an einen mittellosen Musiker aus Neuseeland untervermietet. Doch die weitaus größeren Sorgen bereitet ihr, dass sie sich in dem selbst geschaffenen Rollenbild zwischen Mutter und älterer Schwester für ihre Tochter zusehends aufreibt. Die spätpubertierende Aziza, selbst etwas orientierungslos, tritt daraufhin den Rückzug an, auf die Straße, in den Kiez. Der Film wiederum nimmt diese Ziellosigkeit in einer schlüssigen Bewegung auf und vermittelt damit ein unglaublich lebensnahes Gefühl für die Lokalität seiner Geschichte.
So fällt Umsonst auf geradezu unheimlich plausible Weise (und trotz einer etwas unnötigen Film-im-Film-Konstruktion) heraus aus der Theorie in die Welt, für die der befreundete Kameramann und Filmemacher Volker Sattel (Unter Kontrolle) buchstäblich Bilder findet. Geenes Methode ist, auch wenn das nach seifigem Pathos klingt, die Wirklichkeit. Ceci Chuh, die Aziza spielt, ist ausgebildete Schauspielerin, ihre Freundinnen im Film stammen dagegen aus dem eigenen Freundeskreis – und demselben Viertel. »Ihr könnt doch nicht alle nach Berlin ziehen, hier die Mieten erhöhen und dann kein Bier verteilen«, ist das expliziteste politische Statement, zu dem Geene sich hinreißen lässt. Es ist eine treffend pointierte Beschwerde aus jugendlicher Weltsicht. Dass dann tatsächlich irgendwann ein Auto brennt, hat da fast schon eine poetische Beiläufigkeit.
Einmal fährt Aziza, ihre kecke Freundin Blanche hinten auf dem Gepäckträger, mit dem Fahrrad sehr lange durch Kreuzberg oder Neukölln. Die atmosphärischen Bilder sind mit dem lichten, verträumten Neo-Folk von Chloe Alice Lewer unterlegt. Die entspannte Stimmung wird jäh gebrochen, als ein Auto aus einem Hinterhof auf den Bürgersteig fährt, um sich in den Straßenverkehr einzureihen. Es kommt zu einer harmlosen Kollision.
Die Mädchen lachen sich halbtot, als der Fahrer flucht, weil das Auto nur „geleast“ sei. Im allgemeinen Durcheinander – Aziza bleibt am Unfallort, Seyneb macht sich, verfolgt vom Fahrer, davon – schreibt Aziza „I burn your car“ auf die Windschutzscheibe des Autos. Eine Drohung? Ein Versprechen?
Als Aziza wenig später von einem Polizisten aufgegriffen und zur Befragung aufs Revier gebracht wird, fühlt man sich an den Schluss von „Zur Sache, Schätzchen“ (fd 15 202) erinnert, als Werner Enke spielerisch mit den Vertretern der Exekutive zu diskutieren beginnt. Später brennen in „Umsonst“ tatsächlich Autos, doch darum geht es nur am Rande. Brennende Autos als Zeichen des Kampfes gegen die Gentrifizierung urbaner Lebensräume sind ein Klischee, das einem zum realen Kreuzberg leichthin einfällt. So leichthin und bedenkenlos, wie Aziza in dieser Nacht ein Fahrrad klaut, das kurz vor einer Dönerbude abgestellt wurde. Doch solche Klischees sind mit einem lockeren Film-im-Film-Szenario verwoben, das diese Impressionen mit sehr authentisch wirkenden Darstellern in Form zu bringen versucht, ohne gleich eine Meinung dazu verfilmen zu wollen.
Ausgangspunkt des Films ist der Umstand, dass „Kreuzkölln“ zum Treffpunkt einer bunten, internationalen Jugend geworden ist, die wenig konsumiert und nicht den Ehrgeiz hat, hippe Dinge zu produzieren. „Kreuzkölln“ ist nicht „Mitte“. Regisseur Stephan Geene sieht in der Ökonomie des Zeitvergeudens und des Umherschweifens einen Reflex auf die ökonomische Krise und die Ideologie der neoliberalen Selbstoptimierung. In einem „Director’s Statement“ zum Film bringt er es auf den Punkt: „Nicht Gebraucht-Werden als Selbstorganisation, als Organisation der eigenen Zeit.“ Der Film selbst präsentiert aber keine Erklärung des Phänomens, sondern zeigt das Phänomen lieber: das Slackertum als Spiel mit dissidenten Stilen, die sich in der Gegenwart mit der Geschichte auseinandersetzen, sich autonome Räume suchen, weil auf die Zukunft nicht länger zu bauen ist.
Aziza kehrt nach einem abgebrochenen Praktikum in Portugal nach Berlin zurück, doch ihre Mutter Trixi hat ihr Zimmer an den jungen Neuseeländer Zach untervermietet, der sich neugierig durch Berlin treiben lässt. Für Aziza scheint Berlin fremd geworden zu sein; sie muss sich erst wieder zurechtfinden, ihre Beziehungen zur Mutter und zur alten Clique klären. Insbesondere die berufsjugendliche Mutter ist unzufrieden, dass die Tochter so unvermittelt wieder anklopft, weil sie deren Abwesenheit als (bislang verpasste) Chance auf ein wenig Freiheit erkannt hat. Der Konflikt zwischen Mutter und Tochter ist zugleich auch ein Konflikt unterschiedlicher Generationen von Kiez-Bewohnern und ihren kleinen und großen Utopien.
Das Blättern in fremden Tagebüchern ist zwar kein schöner Zug, könnte aber weiterhelfen, wenn sich der Inhalt der Tagebücher auf dem selbstreflexiven Niveau des Films befände. Wovon eher nicht auszugehen ist. Die offene, mitunter dokumentarische und improvisiert wirkende Zustandsbeschreibung zeigt sich in Ungleichzeitigkeiten, die mit dem Mythos „Kreuzberg“ spielerisch umgehen. Man kann, wie andernorts bereits vorgeschlagen, „Umsonst“ durchaus in einer Linie mit Filmen wie Uwe Schraders „Kanakerbraut“ (fd 24 411), Thomas Arslans „Dealer“ (fd 33 601) oder Michael Kliers „Ostkreuz“ (fd 29 357) sehen, die spezifische Berlin-Bilder zeichnen und vom Temperament her eine Gegenposition etwa zu den unfrisierten, aber auch märchenhaften „Berlin“-Projektionen eines Klaus Lemke („Berlin für Helden“) beziehen. Wenn die Alt-Berliner Band Mutter ihren alten 1994er-Hit „Die Erde ist der schönste Platz im All“ anstimmt, dann ist das bestimmt nicht ironisch gemeint. So wenig wie der erzwungene Abbruch der Dreharbeiten auf der Film-im-Film-Ebene von „Umsonst“, den man nicht anders als konsequent bezeichnen kann.
Ulrich Kriest, FILMDIENST 14/2014
Leipzig
Umsonst /
Berlin, fremde Heimat
Auch ohne die einleitenden Worte hätte man’s bereits geahnt: Einige der besten Filme denken sich nichts aus, schließlich ist alles da, Hinschauen heißt die Devise, welcher die vorliegende Geschichte treu folgt.
Sie beobachtet Aziza, ein Mädchen um die 20, eben wieder aus Portugal in Berlin angekommen, nach dem frustrierten Abbruch eines Praktikums beim Vater. Mutter Trixis Begeisterung darüber scheint eher gezügelt, wir werden erfahren, wieso: Mit nunmehr 40 wollte sie endlich frei sein, das eigene Leben planen können! Aziza ist wiederum schwer genervt und pendelt recht ziellos durch die Stadt, welche kaum mehr ihre zu sein scheint. All’ die hippen Typen, das coole Gelaber, der hektische Umgang gehen unserer Heimgekehrten plötzlich – Überraschung – auf den Senkel.
Eine präzise abbildende Kamera schaut nun einfach zu, was passiert und den improvisierenden Darstellern einfällt. Grundsätzlich scheint das, gemessen an regulären Sehgewohnheiten, relativ wenig, doch mal ganz offen: lieber zurückgenommen nah dran, als verschwurbelt aufgeblasenes Problemkino! Tatsächlich macht kein Beteiligter aus dieser Großstadt-Rastlosigkeit mit Kilometergeldkasse verkopftes Zeigefingerwedeln oder entleerte Abstraktionen der Gegenwart zum betroffenen Weiterdenken beim lebensspendenden Prosecco nach dem Bis-zu-Ende-Abgesessen. Definitiv auch ein besonderer Verdienst der Entdeckung Céci Chuh: Wie sie jener Aziza Leben einhaucht, Verlorenheit, Auflehnung und pißnelkige Zicken-Attitüde verbindet, gemahnt geradezu an eine junge Bette Davis. Die Szenen zwischen Aziza und Trixi geraten zwangsläufig zu grandiosen Momenten, auf den Punkt gebrachte unterdrückte Konflikte schwelen hier ebenso wie trotz allem vergluckte Liebe.
Ein weiterer Kniff zeigt sich schließlich am Schluß: Jetzt geht gar nichts mehr, Authentizität stößt naturgemäß irgendwann an ihre Grenzen, man kann den Figuren unmöglich enger auf den metaphorischen Pelz rücken, selbst wenn sie zwischendrin das Wort ans Publikum richten. Ende der Fahnenstange. Risiko, es zu verderben. So hämmert aus heiterem Himmel ein Spalt durch die Sache, Fiktion und nominelle Wirklichkeit verwirbeln, sind einander ergänzende Teile des großen Ganzen. Daß ausgerechnet jener so sehr auf real getrimmte Schlußakkord deutlich filmischer, ergo inszenierter, wirkt, spricht erneut für das, was vorher (nicht) geschah.
Kreutzer, Leipzig
Mit einer absoluten Verweigerungshaltung ausgestattet, kehrt die junge Aziza nach Berlin zurück zu ihrer Mutter. Auf das Praktikum beim Vater, der in Portugal lebt, hatte sie keine Lust mehr. Die Mutter in Berlin hat längst Azizas Zimmer an den neuseeländischen Lebenskünstler Zach untervermietet und ist nicht so ganz erfreut, als das erwachsene Kind wieder in der elterlichen Küche steht. Sie wollte sich doch endlich mal selbst verwirklichen. Mit einem Film im Film begegnet Regisseur Stephan Geene in seinem Spielfilmexperiment »Umsonst« dem internationalen Freiheitsflair der deutschen Hauptstadt – und der Titel ist hier Programm und Botschaft zugleich. Geene ist mit »Umsonst« ein charmantes Berlinfilmchen gelungen, das eine treffende Zustandsbeschreibung über das heutige Kreuzberg und Neukölln abliefert und äußerst gekonnt im Epilog, wenn die Geschichte noch einmal eine spannende Wendung nimmt, seinen Titel zum Programm macht. Ausführliche Kritik im aktuellen kreuzer.
CINEARTE, Juli2014
Berlin, Kreuzkölln: Stephan Geene (After Effect),
der Mitte der 1990er Jahre den B-Books-Laden
(Buchhandlung, Begegnungsstätte, ab 2000 auch
Filmproduktion) mitbegründete, ließ sich vom
Fluß des Lebens am Ort inspirieren und bringt
das Gefüge zwischen Zuzüglern und Alteingesessenen
ohne Verklärung auf den Punkt. Die Figuren
hat er mit den Darstellern gemeinsam erarbeitet.
Es ist aber nicht nur eine Coming-of-Age-
Geschichte: Aziza schmeißt ihr Praktikum bei
ihrem Vater in Portugal hin und steht einfach wieder
bei ihrer Mutter auf der Matte. Die hat ihr
Zimmer bereits untervermietet. Die Rückkehr der
Tochter wirft sie aus der Bahn. Jetzt muß sie sich
wieder mit der Mutterrolle auseinandersetzen.
Aziza kommt nicht in Berlin an, sie ist einfach da,
und will auf keinen Fall irgendwas erklären. In
den schönsten Szenen begleitet die Kamera Aziza,
die mal mit dem Fahrrad mal zu Fuß durch die
Straßen treibt, am Tage und auch in der Nacht,
mit Freunden oder allein. Das Gefühl für die Stadt
transportiert sich dann auch in einer langen Sequenz,
die bis in die Morgendämmerung durch
den Park führt und von Mutter erklingt dabei »Die
Erde wird der schönste Platz im All sein«. ne
Eigentlich wollte Aziza ja einmal längere Zeit weg sein, doch sie ist frühzeitig zurückgekommen nach Berlin und muss feststellen: Ihre Mutter hat ihr Zimmeruntervermietet. An einen jungen Mann namens Zach. Einen der vielen internationalen Berliner heute. Von diesem Umstand ausgehend entwickelt Stephan Geene in "Umsonst" eine leise, popkulturell vielfach anschlussfähige Geschichte um eine junge Frau von heute, mit einer starken, selbst-reflexiven Wendung zum Schluss, in der er das Kino selbst in den Blick nimmt.
Bert Rebhandl
Empfehlung: Sehenswert
Ausserdem Umsonst in der Coverstory DER GROSSE TRAUM, wie in Berlin das Kino immer wieder neue erfunden wird, S. Printausgbe 14/2014
"Der schönste Platz im All öffnet sich dem Blick am Ende eines famosen Tracking Shots. On location gedreht, eine präzise gebaute, fluide Ortsbegehung. Theorieaffin, autoreflexiv verschaltet – und doch von großer Klarheit: ein Projekt soziologischer Immanenz. Wie junge Leute sprechen, gehen, gestikulieren. Wo Sachen sind und wie sie zusammenhängen. Ein Kreuzbergfilm für die Gegenwart, keine leere Berlin-Abstraktion wie im gehobenen bundesdeutschen Förderkino. Vermutlich ist Umsonst deshalb aus Festivalperspektive nur als « expanded » zu prozessieren. Filmgeschichtlich auf Augenhöhe mit Schraders Kanakerbraut und Arslans Dealer. Andere Zeiten, andere Perspektiven: Europas Jugend tummelt sich in der Hauptstadt der Austeritätsnationalisten und sucht nach Strategien des Sich-Entziehens. Wer Wasser predigt und Wein trinkt, sollte wenigstens Bier verteilen."
Cargo, Filmmagazin 21, Berlin, März 2014, Simon Rothöhler
Berlinale-Spielfilm „Umsonst“
Zukunftslose Gegenwart
Südlich des Berliner Landwehrkanals: Stephan Geenes Spielfilm „Umsonst“ ist auf leichte Weise mit Wirklichkeit gesättigt.
ulrich gutmair in taz, 13.2.2014 GESAMTER ARTIKEL
Beste Szene?
Gab es nicht im Wettbewerb zu sehen sondern im Forum Expanded. Dort werden normalerweise die gewagtesten Experimente unter den Experimentalfilmen vorgeführt, im Fall von Stephan Geenes "Umsonst" aber ein unglaublich charmanter und lustiger Hauptstadtfilm über ein Mädchen, das nach einem abgebrochenen Praktikum in Portugal nach Berlin zurückkommt und feststellt, dass die Mutter ihr Zimmer an einen schluffigen Neuseeländer untervermietet hat. Eine liebevolle Zustandsbeschreibung über das Kreuzberg und Neukölln von heute, in dem Zugezogene und Alteingesessenen um ihr nahezu kosten- und anstrengungsloses Utopia fürchten müssen. Am schönsten zusammengefasst von einer angetrunkenen Obdachlosen, die sich über geizige Hipster aufregt mit den Worten: "Ihr könnt doch nicht alle nach Berlin kommen, die Mieten erhöhen und dann nicht mal ein paar Bier verteilen!" Wer will da was gegen sagen? [..]
Star des Tages
Ceci Chuh als von Mutter, Freunden und der Stadt genervte Berlin-Heimkehrerin in "Umsonst". Eine der wenigen Schauspielerinnen oder Schauspieler, denen man wirklich jedes Wort glaubt.
spiegel-online, 13.2.2014, Daniel Sander auf spiegel-online
"The direct address to the camera brings up the framing device in umsonst that I’m not entirely sure what to do with other than enjoy, namely, the poetry of the director of the film-within-the-film in his early scenes (somewhat reminiscent of Truffaut’s Day for Night) and the slapdash anarchic humor of the final scenes (more reminiscent of Monty Python and the Holy Grail). With or without these buffers between us and the world of Aziza and Zach, umsonst is a remarkable portrait of a neighborhood, its community and its moment."
David Hudson auf Fandor, GESAMTER TEXT
Coming-of-Age-Drama über ein junges Mädchen, das sich nach einem Auslandsaufenthalt nicht mehr mit ihrem Zuhause in Berlin-Kreuzberg identifizieren kann.
Einerseits verfolgt der Film von Stephan Geene die innere Entwicklung eines jungen Mädchens an der Grenze zum Erwachsenwerden. Auf der anderen Seite porträtiert er aber auch das Berliner Szeneviertel Kreuzberg, das sich ebenfalls sehr gewandelt hat in den letzten Jahren: Es ist nicht mehr nur das Viertel der Kreativen, sondern vor allem eine Refugium für Menschen, die sich hier in entschleunigter Umgebung eine Auszeit nehmen und ihre Lebensprojekte schmieden. Ein Film über das Innehalten in einer schnelllebigen Zeit, getragen von authentischen Charakteren.
auf kino.de
Der Schauplatz ist Kreuzberg am Rand von Neukölln, die Jahreszeit ist Hochsommer und was zählt ist der Moment. Stephan Geene hat einen improvisierten Film über eine improvisierende Generation gedreht und es gelingt ihm wunderbar mit stimmungsvollen Momentaufnahmen, halb-dokumentarischen Szenen einen Stadtteil und seine BewohnerInnen in atmosphärischen Bildern einzufangen.
Yorker
cargo-blogg_ : ____________________________________________________
stephan geenes umsonst ist on location und
kennt den schönsten platz im all. sprachpräzise,
sehr gute kamera, stimmig wie sonst nur französisches kino,
wenn es um junge leute geht, die noch bei ihren eltern
wohnen müssen - go see it
Simon Rothöhler am 12. Februar 2014 um 15:41 Uhr
Ja, "Umsonst" ist ein wirklich schön driftender Muttertochterberlinkreuzbergfilm
Kathrin Peters am 15. Februar 2014 um 00:30 Uhr
"Stephan Geene of bbooks Kollective whose brilliant film Umsonst
featuring a delicious young cast I found totally enthralling and sublime.
Unsonst was just another one of the many delights of Forum Expanded."
Vaginal Davies on http://blog.vaginaldavis.com/
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